[:de]Im Schatten der Vulkane[:]

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Der Tongariro National Park

Ein schlafender Vulkan, ein kollabierter Vulkan, heiße Quellen, Geysire – was vulkanische Aktivitäten angeht, haben wir schon so einiges bestaunen dürfen. Nur eins fehlt noch auf unserer Bucketlist: Aktive Vulkane.
Wem jetzt das Herz stehen bleibt, keine Sorge wir haben nicht vor, einem Vulkanausbruch live beizuwohnen. Was uns allerdings vorschwebt, ist eine Wanderung im Tongariro National Park (Übrigens der älteste Nationalpark Neuseelands und der fünftälteste der Welt), und seine Vulkane sind deutlich weniger schläfrig als Taranaki. Der Tongariro Northern Circuit ist unser nächster Great Walk und eigentlich für vier Tage angedacht, aber wir glauben, ihn auch in dreien schaffen zu können. Er führt uns ins reich der Vulkane Tongariro, Ruapehu und Ngauruhoe (ja, ganz schöne Zungenbrecher). Von alpinen Verhältnissen kann allerdings auf unserem ersten Wegstück keine Rede sein. Wir wandern durch eine leicht hügelige, von Gras und Heidekraut dominierte Landschaft. Zu unserer Linken liegt die Ebene, zur Rechten, kann man schon grauschwarze Berge erkennen. Vor Allem Mt. Ngauruhoe sticht hervor, denn ihn kann jeder unschwer als Vulkan identifizieren. Wer sich mit Filmen auskennt, dem sollte der Berg bekannt vorkommen, hat er doch als Mount Doom (oder Schicksalsberg) eine tragende Rolle im „Herrn der Ringe“ gespielt. Auch weitere Szenen aus Mordor wurden hier im Nationalpark gedreht – bisher können wir uns das noch nicht hundertprozentig vorstellen, aber mal sehen, was noch so auf uns zukommt.

Bisher ist die Wanderung ziemlich entspannt. Hin und wieder steigen wir in kleine, meist trockene Flusstäler hinab und wieder hinauf, doch insgesamt gibt es wenig Steigung, sodass das Gewicht unserer Rucksäcke kaum zu spüren ist und die Sonne uns nicht stört. Ehrlich gesagt ist der Weg eher ein bisschen langweilig… Außerdem ziemlich kurz, sodass wir – trotz spätem Start – gegen ein Uhr bei unserer ersten Hütte, der Mangatepopo Hut, ankommen.
Die Tatsache, dass sich nur wenige Minuten entfernt ein Parkplatz mit Shuttlebus-Verkehr befindet, lässt uns zweifeln: Hätte man sich diese unspektakulären neuneinhalb Kilometer nicht auch sparen können? Naja, immerhin können wir in zwei Tagen hoffentlich von uns behaupten, den ganzen Northern Circuit gelaufen zu sein – und wir haben Zeit, in der Hütte zu entspannen. Kleiner als die Hütten auf dem Kepler Track, bietet sie dennoch Schutz für 26 Wanderer, bisher leisten uns allerdings gerade mal eine Handvoll Gleichgesinnter Gesellschaft.

Ein paar der Frühankömmlinge entscheiden sich, die Gegend zu erkunden – wir verzichten zugunsten von Gesprächen, Lesen und Sonnen auf der Terrasse. Um unsere Kräfte zu schonen, versteht sich.

Es wird Abend und damit Zeit für den Hut Talk. Die junge Rangerin begrüßt uns ausgiebig in Maori – natürlich versteht keiner ein Wort, aber es hört sich trotzdem fantastisch an. Nach etwas Mythologie geht sie über zu den Sicherheitsanweisungen – angebracht, wenn man bedenkt, dass Mt. Ngauruhoe 1977, Mt. Ruapehu 2006 und Mt. Tongariro 2012 zum letzten Mal ausgebrochen ist. Dass ich allerdings im Ernstfall schnell genug aus dem Tal hinaus und auf den nächsten Kamm kommen würde, kann ich mir kaum vorstellen. Naja, dann hoffen wir doch einfach mal das Beste.

Auf unserer viertägigen Wanderung durch Fiordland haben wir gezeltet und das sehr genossen, doch nun stellen wir fest, dass so eine Hütte durchaus auch etwas für sich hat. Damit meine ich weniger die knisternden Matratzen als vielmehr das gesellige Beisammensein. Hier kommt wirklich die ganze Welt zusammen: Wir treffen Franzosen, Spanier, Hawaiianer und erstaunlich wenig Deutsche. Sogar ein paar Kiwis sind am Start. Es wird geredet und gespielt, nur unterbrochen vom kollektiven Beobachten des Sonnenuntergangs (man sieht tatsächlich Mt. Taranaki in der Ferne). Es ist schön, Gesellschaft zu haben und sich auszutauschen. Nicht allzu spät gehen wir aber ins Bett, denn morgen müssen alle früh raus.

Tag zwei

Es ist noch dämmrig, als wir am ersten Morgen im Nationalpark loslaufen. Uns wurde ein früher Start empfohlen, denn dieses zweite Wegstück deckt sich größtenteils mit dem Tongariro Crossing, das als beliebteste Tageswanderung Neuseelands gilt und dementsprechend hoch frequentiert ist. Bald stellen wir leider auch fest, dass unser „früh“ wohl nicht früh genug war: Vor uns sind Leute. Hinter uns sind Leute. Überall sind Leute
Naja. Das müssen wir jetzt wohl ertragen.
Der Weg führt uns zunächst über Stege durch ein Tal und zwischen immer höher werdende Berge. Die Vegetation ist deutlich weniger geworden, die Felsbrocken dafür mehr. Orangefarbene Bäche und Tümpel lassen die vulkanische Aktivität erahnen und die vor uns aufragenden Berge bieten wirklich einen beeindruckenden Anblick – kaum zu glauben, dass wir die übersteigen sollen!

Aber so ist es, und bald geht es mit dem Aufstieg auch so richtig los. Steile Treppen, zum Teil aus Holz, zum Teil halb natürlich, führen uns die Flanke des Berges hinauf.
Es ist bewölkt, sodass sich der Gipfel des Ngauruhoe in Dunst hüllt. Trotzdem haben wir einen weiten Blick ins Tal und die Ebene in der Ferne – die Städte dort fühlen sich genau so weit weg an, wie sie aussehen. Dass wir uns zwischen Vulkanen befinden, daran ist jetzt auch nicht mehr zu zweifeln: Schwarze Felsbrocken dominieren den Wegesrand, nur ab und zu wagt sich noch ein kleines Blümchen dazwischen hervor.
Trotz fehlenden Sonnenscheins kommen wir auch ganz schön ins Schwitzen – nicht umsonst heißt dieser Teil des Weges „Devil’s staircase“. Und ein Rucksack ist eben ein Rucksack, auch wenn wir dieses Mal deutlich leichteres Gepäck mit uns führen als auf dem Keplertack…

Mit einiger Anstrengung überwinden wir die Treppe des Teufels und erreichen nun eine mit gelblichem Staub bedeckte Hochebene, Der Nebel ist während des Aufstiegs immer dichter geworden und jetzt sieht es so aus, als verschwände die Landschaft zu allen Seiten im Nichts. Nur hin und wieder schält sich ein Felsbrocken aus dem Dunst hervor. In dieser mystischen Atmosphäre laufen wir weiter, der flache Weg ist eine nette Erholung für unsere Beinmuskeln. Nur schade, dass wir nichts sehen können…
Bis wir plötzlich an einem Abgrund stehen. Wir schauen hinab in ein Tal, nun zur anderen Seite des Berges. Grauer Fels, Steilhänge und Geröll machen es nicht schwer, sich den Berg hinabfließende Lavaströme vorzustellen – und bei der dramatischen und etwas düsteren Lichtstimmung, ausgelöst durch den Wechsel von Sonne und Wolken, würden mich eine wütende Orkarmee oder zwei erschöpfte Hobbits gar nicht überraschen.

Auf dem Höhepunkt unseres heutigen Tages sind wir allerdings noch gar nicht angelangt. Deshalb geht es jetzt weiter bergauf, diesmal ohne Treppen und durch ockerfarbenes Gestein. Die Sonne kommt jetzt öfter hervor; trotzdem ist es hier oben ziemlich kalt und windig. Nach einer Weile kommen wir schließlich am Red Crater an.
Und dieser macht seinem Namen tatsächlich alle Ehre. Vor uns liegt ein weiter, steilwandiger Kessel, zum Teil grauschwarz, zum Teil jedoch von tief dunkelroter Farbe. Diese entsteht durch eine Reaktion des Eisens mit Sauerstoff, ähnlich dem Rosten. Ich muss sagen – ich hätte nie gedacht, dass ich Rost mal so schön finden würde

Mittlerweile hat sich die Personendichte, wenn möglich noch erhöht – kein Wunder genau hier sammeln sich ja die beeindruckendsten Naturphänomene. Als wir den Abstieg beginnen, können wir im höher gelegenen Untergrund seitlich des Weges bunte Schichtungen erkennen; von überallher scheint es zu dampfen und der Boden ist spürbar warm. Das lose Geröll unter unseren Füßen ist ziemlich rutschig, deshalb ist höchste Konzentration geboten – schwierig, wenn sich doch ein gutes Stück unter uns die Emerald Lakes ausbreiten.

Obwohl diese Seen unbestreitbar grün sind, trifft es „Smaragd“ für mich nicht ganz: Es ist eher ein leicht milchiges und ziemlich unwirkliches Giftgrün, eine Farbe, die wir nie in Bezug mit Wasser gebracht hätten. Sicherlich auch, weil es sich um ein seltenes Naturwunder handelt, sind die Seen den Maori heilig und sollten deshalb nicht berührt werden.
Wir bleiben eine Weile, laufen etwas um die Gewässer herum und genießen die Sonne, die immer öfter zwischen den Wolken hervorschaut. Dabei entdecken wir einen weiteren Emerald Lake, der etwas aus dem Rahmen fällt: Er ist eher türkis und von klarerem Wasser. Hier machen wir Mittagspause und nach einem kurzen sidetrip zum Blue Lake (der sich nicht wirklich lohnt) wollen wir weiterwandern.

Aber wo ist der Weg? Die meisten Menschen – nämlich die, die „nur“ das Tongariro Crossing laufen – schlagen hier eine andere Richtung ein. Nach kurzer Suche finden wir unseren Pfad und beginnen mit dem weiteren Abstieg. Es geht ziemlich steil hinunter, hindurch zwischen schwarzen, roten und immer mehr gelben Steinen und Felsen. Wir sind jetzt so gut wie allein, was nur noch zum Gefühl beiträgt, ganz weit weg zu sein – vielleicht auf einem anderen Planeten?
Aber nein, schon bald begegnet uns der Ranger und teilt uns mit, dass es nicht mehr allzu weit ist. Als wir den Boden des Tals erreichen, sind wir erleichtert. So ein Abstieg strengt doch ganz schön an, aber ab jetzt geht es mehr oder weniger flach bis zur Hütte. Die anfangs noch zaghaft auftauchenden Grasbüschel sind mehr geworden, doch noch monolithenartige Felsen dominieren mehr denn je das Landschaftsbild. In einem sanften Auf und Ab, der Kegel des Ngauruhoe zu unserer Rechten, bahnen wir uns unseren Weg zu Oturere Hut.

Als wir dort ankommen, ist es gerade Mittag – wieder bleibt uns ein guter Teil des Tages übrig. Wir treffen ein schweizer Paar, mit dem wir uns eine Weile unterhalten. Während wir auf der Terrasse entspannen, ziehen einige Wanderer an uns vorbei – die werden wohl in der nächsten Hütte die Nacht verbringen. Derweil ich noch meine schmerzenden Füße schone, wäscht sich Niklas an einem nahe gelegenen Wasserfall.

Auch hier führen wir wieder nette Unterhaltungen, und je später der Abend, desto lustiger die Spiele! Diesmal befinden wir uns unter anderem in Gesellschaft eines verrückten holländischen Raftlehrers, der seit Jahren nur noch Sommer hat, ein paar süßen Belgiern und zwei neuseeländischen Mädchen. So schön die Gesellschaft allerdings ist – irgendwann müssen wir uns dann doch in die Schlafsäcke begeben. Gute Nacht!

Tag drei

Nachdem Niklas sich für ein gutes Foto der Milchstraße die Nacht um die Ohren geschlagen hat, begrüßen wir den zweiten Morgen etwas später als den ersten. Doch wir sind gerade noch rechtzeitig zu Sonnenaufgang. Das erste Licht des Tages färbt Ngauruhoe rotorange, das Wetter verspricht gut zu werden: Bis auf ein kleines Wölkchen, das sich frech vor den Vulkankegel schiebt, ist der Himmel klar.

Wir machen uns mit dem Frühstück keinen Stress, trödeln aber auch nicht zu lange, denn wir haben heute fast 25 Kilometer vor uns. Los geht’s durch die noch recht karge, aber doch schon spärlich bewachsene Landschaft. Immer noch prägt vor allem die Farbe grau das Bild; Staub und Geröll bilden den Untergrund der Hände, die wir hinab und hinauf steigen. Und hinab. Und wieder hinauf. Eine ganze Weile geht es in einem moderat anstrengenden Auf und Ab durch die ausgestorben wirkenden Täler, dann laufen wir über einen sanft gerundeten Kamm, von dem aus man einen weiten Blick in alle Richtungen hat. Obwohl wir immer wieder anderen Wanderern begegnen, gibt uns die Mondlandschaft doch das Gefühl der Abgeschnittenheit und des Alleinseins. Auch die fast vollkommene Stille, abgesehen vom Geräusch unserer Schritte, fühlt sich eigenartig und unwirklich an.

Inzwischen haben die Bäume zugenommen, die noch niedrig sind und in lichten Gruppen zusammenstehen. Doch bald verlassen wir unseren Kamm und steigen hinab in ein größeres, dichteres Waldstück – etwas, das bisher auf dieser Wanderung nicht allzu prominent war. Hier wandern wir zwischen der üblichen neuseeländischen Fauna hindurch und stoppen kurz an einen Fluss, an dessen Ufer hohe Gräser Spalier stehen. Nachdem wir den (wieder etwas spärlicher bewachsenen) Höhepunkt eines Sattels überquert haben, geht es schräg am Hang entlang nach unten und wir erreichen die Waihohonu Hut.

Hier werden wir keine Nacht verbringen, aber wir legen eine – sogar recht frühe – Mittagspause ein, wobei uns das schon bekannte schweizer Paar Gesellschaft leistet. Da es noch recht früh ist, lassen wir uns Zeit; die Hütte ist auch durchaus einen Besuch wert. Groß und geräumig, relativ neu und mit einem schönen Außenbereich hätte sie sicher auch ein nettes Nachtlager abgegeben. Aber unser heutiges Ziel ist das Ende des Tracks in Whakapapa und dorthin machen wir uns schließlich auch wieder auf.

Die Umgebung ist wieder zu Graslandschaft übergegangen. Heidekraut und hellbraune Halme wechseln sich ab. Hier und da ist ein Waldstück zu sehen und die Vulkane liegen jetzt schon in einiger Ferne. Nach kurzer Zeit erreichen wir die Historic Waihohonu Hut, die älteste noch erhaltene Backcountry Hut Neuseelands. Die ganz in Rot gestrichene Hütte ist, verglichen mit unseren Nachtlagern, ganz schön klein. Im Innern kann man Relikte aus der Zeit bewundern, in der hier noch voller Betrieb war.

Nach diesem interessanten Zwischenstopp wird der Weg zugegebenermaßen recht eintönig. Ja, die Aussicht auf Ngauruhoe zur Rechten und Ruapehu zur Linken ist beeindruckend, aber im Vergleich zu den spektakulären Naturschönheiten des gestrigen Tages dann doch eher mittelmäßig. Der Pfad selbst verläuft weitestgehend eben mit einem minimalen Auf und Ab, wobei sich die vielen Kilometer nach einer Weile dann doch bemerkbar machen und ich auch auf das kleinste bisschen Steigung gern verzichtet hätte. Kurz gesagt: Mir tun die Füße verdammt weh und der arme Niklas bekommt das auch zu hören. Aber es hilft nichts, weiterlaufen müssen wir ja doch.

Auf den Sidetrip zu den Tama Lakes verzichte ich aber, sodass ich nur mit den verwunderten Blicken einiger Tageswanderer Bekanntschaft mache, während Niklas in den Genuss eines weiten Kratersees kommt. Wir schleppen uns noch einige Kilometer weiter und erreichen die Taranaki Falls, einen Wasserfall, zu dem selbst ich den Abstieg noch schaffe.

Ab dann ist es nicht mehr weit bis zu Dorf; es geht über eine Brücke, dann durch Wald und endlich tauchen die ersten Häuser am Wegesrand auf. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Straße, und das letzte Stück bis zu Udo schaffe ich auch noch.
Und dann: Endlich sitzen! Ich bin erleichtert, als mir beim Schuhe ausziehen nicht die Füße abfallen. Als ich aber an die drei Tage zurückdenke, wird mit klar: Das war es wert!

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Kommentare

2 Antworten zu „[:de]Im Schatten der Vulkane[:]“

  1. Avatar von Thomas
    Thomas

    Ein Meisterwerk! – Text und Bilder einfach toll! Man fühlt sich wirklich wie dabei – und das wäre ich bei den Anblicken auch gerne gewesen. Ich glaube, ich spüre gerade meine Füße…

    1. Avatar von Niklas
      Niklas

      War auch wirklich ein Highlight unserer Reise und sehr zu empfehlen.